Gesellschaftliche Strukturen

Fortgeschrittene|Gewaltfreie Kommunikation (GFK)

Sozialer Wandel mit der GFK

Im Kreislauf gesellschaftlicher Systeme bilden Menschen bestimmte Ideen, Weltbilder oder Geschichten über die menschliche Natur und den Sinn des Lebens. Sie bilden das grundlegende Verständnis, das zentrale Paradigma einer Gemeinschaft von Menschen. Menschen „sind“ dann zum Beispiel entweder gut oder böse.

Auf dieser Grundlage werden Systeme, Strukturen und Institutionenerschaffen, mit denen die Gesellschaft ihre Angelegenheiten organisiert und regelt.

Dazu gehören zum Beispiel:

  • Strukturen für die Verteilung von Gütern
    (freie Marktwirtschaft, Kapitalismus, …)
  • Strukturen und Institutionen um Streit zu schlichten und für den Umgang mit abweichenden Verhalten von den gesellschaftlichen Normen und Regeln
    (Rechtssystem und Gerichtswesen)
  • Strukturen und Institutionen für Umgang mit und Behandlung von kranken Menschen
    (Gesundheitssystem, Ärzte, Krankenhäuser, …)

Besondere Bedeutung kommt in Gesellschaften den Strukturen und Institutionen zu, welche sich mit Sozialisation der jeweils nächsten Generation befassen. Gesellschaften funktionieren nur, wenn sie ihre jungen Mitglieder darauf vorbereitet, mit den Strukturen und Institutionen in der Gesellschaft zu leben.

Die Behandlung und Erziehung von Kindern lässt sie zu Menschen heranwachsen, welche sich im Großen und Ganzen so verhalten, dass sie den Mythos bestätigen und verstärken, welcher den Strukturen dieser Gesellschaft zugrunde liegt. Der Kreis schließt sich mit der beobachtbaren Wirklichkeit, auf deren Grundlage wir Ideen und Geschichten ableiten.

Machtstrukturen im Wandel

Seit Jahrtausenden ordnen sich menschliche Gesellschaften unter Machtstrukturen, in denen eine kleine Gruppe das Privileg genießt, ihre vorrangig materiellen Bedürfnisse zu befriedigen – oft auf Kosten der Mehrheit, deren Bedürfnisse unberücksichtigt bleiben. In solchen Systemen manifestiert sich Macht als Herrschaft über andere, wodurch das Bedürfnis vieler Menschen nach Einflussnahme und Wirksamkeit ungestillt bleibt.

Spirituelle Deutungen und Menschenbilder

In diesen hierarchischen Gesellschaften verfestigen sich bestimmte Glaubenssätze, die unser Selbst- und Weltverständnis prägen:

  • Der Mensch ist von Natur aus egoistisch und gierig.
  • Menschen streben ausschließlich danach, ihre eigenen Wünsche zu erfüllen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer zu nehmen.
  • Die Ressourcen der Welt sind begrenzt und nicht ausreichend für alle.

Diese Überzeugungen sind tief verwoben mit den überlieferten Erzählungen über die Entstehung der Welt, den Ursprung der Menschheit, die Quellen des Glücks sowie Vorstellungen vom Leben und dem Tod.

Gestaltung sozialer Strukturen

Die Annahme einer grundsätzlich fehlerhaften menschlichen Natur führt zur Entwicklung von Strukturen und Institutionen, die auf Kontrolle, Macht und Unterordnung basieren. Die zugrundeliegende Idee ist, dass die vermeintlich dunklen Seiten der menschlichen Natur im Interesse des gemeinschaftlichen Zusammenlebens gezähmt werden müssen. Dies erfolgt durch eine Elite, die sich selbst als moralisch überlegen, weiser oder fortschrittlicher betrachtet und die Definitionsmacht über Gut und Böse, Richtig und Falsch beansprucht.

Zu diesen grundlegenden Strukturen zählen Familie, Berufswelt, Gemeinschaften sowie staatliche und administrative Organe. Institutionen entstehen, um die Aushandlung, Durchsetzung und Überwachung von Regeln und Gesetzen zu regeln.

Ansätze in Bildung und Erziehung

Vor dem Hintergrund dieser Strukturen stellt sich die Frage, wie Kinder darauf vorbereitet werden können, in einer derart geprägten Welt zu bestehen. Mittels Belohnungen und Strafen werden sie auf ein Leben in Konformität und Gehorsam eingestimmt. Sie lernen, niemandem zu vertrauen, sich selbst der Nächste zu sein und dass Verhalten Konsequenzen nach sich zieht, die „verdient“ sind. Diese Form der Sozialisation gewährleistet, dass Individuen in die bestehenden Strukturen eingegliedert werden.

Auswirkungen auf menschliche Entwicklung und Verhalten

Durch die Prägung, niemandem zu trauen und nur eigene Interessen zu verfolgen, entwickeln Menschen Schutzmechanismen, leben mit begrenzter Hoffnung, Kraft und Leidenschaft. Die Fähigkeit, aus innerer Freude und Großherzigkeit zu handeln, kann verloren gehen, stattdessen wird das Handeln von äußeren Anreizen abhängig. Die Kontrolle über die eigene Natur, Disziplin und Gehorsam werden als Weg zu Tugendhaftigkeit und Heiligkeit gesehen, wodurch Menschen entweder zu Monstern oder zu Heiligen stilisiert werden. Diese beobachtbaren Verhaltensweisen dienen dann als Bestätigung der Mythen über die menschliche Natur, die ursprünglich die Etablierung von Herrschaftsstrukturen begründeten.

Lebensdienliche Systeme

Im Zentrum lebensfördernder Systeme steht die Ausrichtung auf die Bedürfnisse aller.

Die Vision

Menschen freuen sich, zur Erfüllung von Bedürfnissen anderer beizutragen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben und es auf Freiwilligkeit beruht.

Gestaltung neuer Strukturen

  • Institutionen zielen darauf ab, Bedürfnisse zu erfüllen, anstatt fixierte Ziele wie maximalen Profit zu verfolgen.
  • Der Maßstab für Erfolg ist der Beitrag zum Wohlergehen des Lebens.
  • Führung wird als Unterstützung verstanden, nicht als Überwachung.
  • Anstelle von Belohnungen und Strafen steht die intrinsische Motivation, durch die eigene Tätigkeit Freude und Erfüllung zu finden.
  • Geld wird als Mittel zur Ermöglichung, nicht als Ziel gesehen.
  • Entscheidungsfindung strebt nach Konsens und berücksichtigt das Wohl aller Beteiligten.
  • Entscheidungsprozesse werden konsensnah gestaltet, wobei „Macht über“ durch „Macht mit“ ersetzt wird.

Bildung und Erziehung

Dialog, Gespräch und Empathie bilden die Grundpfeiler in der Erziehung. Macht dient dem Schutz und nicht der Bestrafung. Die Fähigkeit zur Empathie, ähnlich der Sprachfähigkeit, bedarf der Entwicklung durch Vorbilder und Lernen.

Menschliche Entwicklung und Verhalten

Individuen handeln aus einem Gefühl der Verantwortung und Autonomie heraus. Sie sind sich der Wechselwirkungen ihres Handelns mit anderen bewusst und berücksichtigen die gegenseitige Abhängigkeit (Interdependenz) in ihrem Verhalten.

Deine Prägung

Was sind einige Elemente der Geschichte über die menschliche Natur und den Sinn des Lebens, an die du dich erinnerst?

Welche Sprichworte und Redensarten haben für dich / deine Familie eine große Rolle gespielt?

Wie bist du als Kind in Elternhaus und Schule behandelt worden?

Spiegelt diese Behandlung das Denken in Herrschaftssystemen wider?

Wenn du selbst erzieherisch tätig bist: welche deiner Strategien / Handlungen halten Herrschaftsstrukturen aufrecht?

Unter welchen Bedingungen und in welchen Situationen handelst du in Übereinstimmung mit Paradigmen von

  • Es gibt nicht genug
  • Entweder – oder
  • Den anderen kümmert’s eh nicht

Sozialer Wandel und Zirkuläres Denken

Unser alltägliches Denken ist überwiegend linear geprägt – Ursache Wirkung. Etwas das passiert hat einen Auslöser, einen Grund. Will ich etwas ändern, muss ich den Grund dafür finden und verändern. In Realität ist es so, dass jede Ursache selbst wiederum die Auswirkung einer anderen Ursache ist, die wiederum…

Wenn du mit der GFK etwas verändern möchtest, kann das äußerst frustrierend sein, weil die Kausalketten kein Ende haben. Ein konkretes Beispiel:

Stell dir vor, in deinen Seminaren berichten Teilnehmende immer wieder von ähnlichen Konflikten am Arbeitsplatz. Diese Konflikte sorgen für Stress, und du erkennst natürlich, dass effektivere Kommunikation helfen kann. Das ist die erste Ebene.
Deine Teilnehmenden haben vielleicht nie gelernt, ihre Bedürfnisse und Gefühle angemessen zu artikulieren. Also richtest du deine Seminare darauf aus, ihnen das beizubringen.

Relativ bald stößt du auf die zweite Ebene: weit verbreitete Unternehmenskulturen, die auf Konkurrenz statt Kollaboration basieren. Das führt zu den immer gleichen Konflikten und du beschließt, dass du direkt hier ansetzen möchtest.
Du richtest deine Seminare künftig auf Firmentrainings aus, um einen Kulturwandel zu unterstützen, in dem der einzelne nicht permanent im Stress ist.

Dann merkst du, dass viele Führungskräfte sehr negativ auf die GFK reagieren. Hier kommt die dritte Ebene: Viele von ihnen wurden in einem Bildungssystem geformt, das Konformität und Wettbewerb über persönliche Entwicklung und Kooperation stellte. Sie lernten, dass Fehler nicht Chancen zum Lernen, sondern Zeichen des Scheiterns sind. Diese Prägung macht sie in deinen Seminaren zu einer Herausforderung, denn ihre tief verwurzelten Verhaltensweisen sind schwer zu verändern.

Also entscheidest du dich, bei Schülern und in der Jugendbildung anzusetzen. Du entwickelst Programme, die Lehrkräfte und Erzieher in GFK schulen, um eine neue Generation von Führungskräften zu kultivieren, die mit emotionaler Intelligenz, Kooperationsfähigkeit und einem tieferen Verständnis für menschliche Bedürfnisse ausgestattet sind. Du arbeitest daran, dass diese Werte bereits im Klassenzimmer gelebt und gefördert werden, sodass die zukünftigen Führungskräfte mit einem ganz anderen Set an Werkzeugen in die Arbeitswelt eintreten – Werkzeuge, die ihnen helfen, Konflikte konstruktiv zu lösen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das auf gegenseitigem Respekt und Verständnis basiert.

Auf dieser Ebene wird dann vielleicht das Schulsystem zum Problem, oder die Politischen Vorgaben, oder die veralteten Studiengänge an Universitäten…

Das ist natürlich vereinfacht, aber es zeigt, dass jede Position das Resultat aus vorhergehenden Ereignissen ist. Das bedeutet aber auch, dass du auf jeder Ebene ansetzen kannst, etwas zu verändern.

Reflexionsfragen

  • Wo möchte ich aktiv werden?
  • Welche Regeln gelten dort?
  • Welche Ideen über das menschliche Miteinander?
  • Was wird dort von mir erwartet? (z.b. mich anzupassen, einer bestimmten Form zu entsprechen, einen Abschluss zu haben, …)
  • Von wem wird dieser Bereich beeinflusst?
  • Auf wen kann ich dort Einfluss nehmen?
  • Wieviel Partizipation ist dort bisher angesagt?

Dank an Marshall Rosenberg, Klaus Karstädt und Miki Kashtan für die Inspirationen

2 Gedanken zu „Gesellschaftliche Strukturen“

  1. Hi Markus,
    sehr komplexes Thema in knapp 9.000 Zeichen: gefällt mir gut!

    An der Gliederung (Machtstrukturen im Wandel/lebensdienliche Systeme/Deine Prägung/Soz. Wandel/Zirkuläres Denken) kann ich mich gut orientieren, ohne mich allzusehr geführt (gegängelt ) zu erleben…;-)

    Den Sprung vom erklärenden in die 1. Reflexion „Deine Prägung“ empfinde ich als etwas abrupt, vllt. könnte hier ein erklärender/einladender Untersatz helfen.

    Ein solcher Untersatz könnte auch beim Einstieg in die 2. Reflexion (Wo möchte ich aktiv werden etc.) hilfreich sein.

    Womit ich mittendrin bin in einer Reflexion meiner Tage bis meines Daseins überhaupt, und auch ein Stück weit im Feiern dessen, was ich bereits getan habe und auch noch weiter tun werde.

    Mit besten Grüßen
    S.

    Antworten
  2. „Wenn du mit der GFK etwas verändern möchtest, kann das äußerst frustrierend sein, weil die Kausalketten kein Ende haben.“

    Danke! Für diesen Satz und die Beispiele danach. An diesem Punkt befinde ich mich gerade und suche nach dem (für mich) richtigen Umgang damit. Eine Lösung habe ich noch nicht, aber dass es anderen möglicherweise auch so geht, ist beruhigend.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Whatsapp öffnen
1
Noch Fragen?
Hi, hier ist Markus vom Impact Institut. Wenn du Fragen hast, kannst du mir hier gerne direkt schreiben. Liebe Grüße
Cookie Consent mit Real Cookie Banner